Wissenswertes über die frühere Kirche am Marktplatz im Spiegel der Zeit

obere Reihe: Ausschnitt aus dem Stich von Michael Wening aus dem Jahr 1723, die Kirche mit Zwiebelturm und rechts die Kirche um 1889. Der Bau der neuen Kirche hat schon begonnen.
untere Reihe: Um 1892/93 hatte Tittling zwei Kirchen. Das frühere Kirchlein wurde 1894 abgerissen. Willi Neumeier aus Muth hat die Lage des Kirchleins auf dem Marktplatz eingemessen und markieren lassen. Bei der Pflasterung im Rahmen der letzten Marktsanierung wurde der Altarraum mit großen Steinplatten dargestellt.

 

Maßangaben und Bevölkerungsstatistik

Länge und Breite: Kirche ca. 28,5 m x 13,5 m (18,5 m an der breitesten Stelle Sakristei/Ladenanbau)
(zum Vergleich: heutige Pfarrkirche St. Vitus: 50,5 m x 17,0 m; Altenheimkirche 16,0 m x 15,0 m; Kirche in Enzersdorf 22,0 m x 11,0 m)
Sakristeianbau im Norden ca. 6,50 m x 4,50 m
Ladenanbau des Sedlmayr im Süden ca. 3,65 m x 2,20 m (Bezeichnung im Urkataster 1841: „Kramladen an der Kirche“)


Fläche: Kirche (Innenraum) ca. 300 m², Sakristeianbau ca. 25 m², Ladenanbau ca. 6 m²
Fassungsvermögen der Kirche: In den Quellen werden 445 Sitzplätze, an anderer Stelle 545 genannt. Unrealistisch ist eine Angabe über die Kirchenbesucher in der Donauzeitung im Juni 1881. Es wird hier von einem Fassungsvermögen von 1.000 Kirchenbesuchern gesprochen, beim Gottesdienst zu Ehren des Kirchenpatrons St. Veit am 19. Juni 1881 seien sogar 2.000 Gläubige im Kirchlein ge­wesen. Aufgrund einer Innenaufnahme des früheren Kirchleins kann von rd. 15 Bankreihen ausgegangen werden, geteilt durch einen Mittelgang. Die Bänke auf der Frauen- und Männerseite waren ca. je 5 m lang. Realistisch darf demnach im früheren Kirchlein bei einem Platzbedarf von 0,40 m/Person eine Sitz­platzzahl von rund 400 angenommen werden. Hinzu kommen noch die Stehplätze.
Vergleich zu heute: Im Hauptschiff der jetzigen Pfarrkirche St. Vitus sind etwa 400 Sitzplätze in 20 Doppelreihen, in den Seitenbänken vor dem Altarraum rd. 50 weitere - insgesamt also etwas mehr als damals, aber in lockerer, bequemerer Anordnung und unter Berücksichtigung der heutigen Kör­perumfänge.

Maße des vergoldeten, neuen Kreuzes auf der Turmspitze (ab 1861):
ca. 1,30 m hoch und 0,75 m breit
Es stand auf einem ca. 45 cm hohen Sockel mit zwei viereckigen Gesimsen.

Bevölkerungsstatistik:
1842: Tittling 1.477 Ew. 1842: Witzmannsberg 842 Ew. 
Die Einwohnerzahlen beziehen sich auf die politischen Gemeinden. Um 1800 wird von „1.700 Seelen“, die vom Expositus zu betreuen sind, gesprochen.
Die wachsende Bevölkerungs­zahl war ein wichtiger Grund für den Bau einer neuen Kirche.

Kurzer geschichtlicher Abriss mit ausführlicheren Angaben über die letzten Jahrzehnte des alten, im Jahr 1894 abgerissenen Kirchleins St. Veit am Marktplatz

15. Jahrhundert
Erwähnung einer Schlosskapelle in Tittling

1438
Jörg Reysinger wird in einer Urkunde als „Pfarrer“ von Tittling genannt

1546
Errichtung des Gotteshauses auf dem Marktplatz Den Hauptaltar zierten lt. Scharrer „wunderbar ausgeführte Heiligenfiguren und ein prächtiges Ölgemälde, die Jungfrau Maria mit dem Jesukinde darstellend. Es war mit Altargut reichlich versehen. Der Bau im Spitzbogenstil (= Gotik) ausgeführt, war mit einem zier­lichen Türmchen versehen.“

zwischen 1618 und 1648 im Dreißigjährigen Krieg
„Würthshauß sambt einem Haffnerhäußl durch die Schweden abgebrennet worden“

1685
Errichtung der Expositur Tittling; Englburg verblieb weiterhin im unmittelbaren Pfarrverbund Neukirchen vorm Wald

1723
Kupferstich von Wening – Darstellung des Ortes mit Schloss, Kirche und Häusern

1742
Pandureneinfall: Die umliegenden Burgen wurden in Mitleidenschaft gezogen. Tittling bewahrte eine hohe Kontribution (Zwangszahlung) vor größerer Zerstörung, aber nicht vor Plünderung und wirtschaftlicher Not als Folge.

1749
große Heuschreckenplage

1788
Errichtung einer Frühmess-Stelle für einen zusätzlichen Priester

1803
der große Marktbrand – Wiederaufbau des Kirchleins gegen den Willen der Obrigkeit

1821
erster Friedhof an der Färbergasse

1836
erstes gemeindliches Schulhaus in der Herrenstraße

1844
spöttische Beschreibung der Kirche durch den neuen Hilfspriester Braun: „Von außen sieht sie etwas schofel aus, etwa so wie man hier im Negligé geht, der winzige Kugelturm (aus Holz) sitzt auf dem Langbau wie einem Kneipenstudenten das Bierkörbchen auf dem Kopf. Tritt man dagegen in das Innere des Heiligtums, so hat man die handgreiflichen Beweise, daß hier Andacht viel gepflogen wird, zwei vom Alter gebeugte Seitenaltäre, eine wurmstichige Kanzel, einen so dürftigen Hochaltar, daß er kaum mehr seine Blößen verdecken weiß, daneben zwei handfeste Beichtstühle, dann Bilder an den Wänden, Laternen und Leuchten – alles zusammen so abgenutzt und verbraucht, als man sich denken kann.“
(Anmerkung: Auch 1825 wird von einem Turm mit einer unansehnlichen Kuppel berichtet. Der Allgemeinzustand der Kirche wird damals als gut bis zufriedenstellend bezeichnet.)

1845
Hilfspriester Braun bestreitet die Sinnhaftigkeit einer Erweiterung der jetzigen Kirche: „ ... wie erweitern?
Der Platz ist so beengt, die Kirche so am Marktplatz gelegen, daß das Geschrei der Kinder, das Hämmern der Schmiede (heute Dreiburgenapotheke), das Vorbeifahren und Vorbeischnalzen der Fuhrleute, das Schweineabstechen bei der Post (gemeint ist der Gastwirt, Metzger und Posthalter Anton Richter, heute Passauer Hof, im Urkataster 1841 als „Wirtsgut zur Goldenen Traube“ bezeichnet) jeden Andächti­gen stören muß.
Das Erweitern kostet ein Heidengeld (14.000 Gulden), warum nicht eine ganz neue Kirche bauen? ... Warum nicht in das Schlößchen hinein ... oder auf jene Anhöhe zwi­schen Siebenhasen und Göttersberg oder auf den Blümersberg! Welche Aussicht! Alle Pfarrkinder hörten und sähen die Kirchenuhr!“

1845
neue Altäre; Die Tochter des Grafen von Englburg hatte im Vorjahr zwei Bilder für den Hochaltar gestiftet. „Jetzt erst sieht die Kirche wie eine Kirche aus.“

1859
Friedhofsverlegung an die Herrenstraße

1861
Es begannen Sanierungsarbeiten, da eine schon seit Jahrzehnten angestrebte Erweiterung bzw. ein Neubau einer Kirche nicht möglich war. Beide Kircheneingänge erhielten eine gotische Einfassung („durch Meister Stadler hingemacht“) neue Kirchentüren durch Schreinermeister Stöger (spöttische Bemerkung in der Pfarrchronik: „die alten sahen denen im Stall zu Betlehem ähnlich“) ein neuer Kirchenturm (dieser ist auf den Bildern um 1890 zu sehen) vorher Abbruch des alten, „sehr bankerotten“ (Ausdruck von Bischof Heinrich) hölzernen Zwiebeltürmchens und Errichtung des neuen Spitzturms Maße des vergoldeten, neuen Kreuzes auf der Turmspitze: ca. 1,30 m hoch und 0,75 m breit; es steht auf einem ca. 45 cm hohen Sockel mit zwei viereckigen Gesimsen Aufstellung einer neu angefertigten Statue des Schutzheiligen St. Vitus. Seit dem Brand 1803 fehlte eine solche, was der Expositus den Tittlingern sehr verübelte. Zusätzlich bekam die Kirche in diesem Jahr drei neue Glocken. Früher war lt. Expositus ein „ganz unharmonisches, schafglockenmäßiges Geläute“ (seit 62 Jahren) zu hören gewesen. Danach gab es in der Bevölkerung Kritik wegen des neuen Klangs, aber größere Glocken waren lt. Expositus nicht im Turm unterzubringen und zu finanzieren.

1862
neue Kirchenuhr, die nicht nur die volle Stunde, sondern alle Viertelstunden schlug 1863 neue St. Florian Statue und neues Hl. Grab

1864
erneut großer Brand im Ortskern, 22 Gebäude brannten ab, die Kirche wurde beschädigt und konnte nur durch das beherzte Eingreifen von Joseph Besendorfer, Knecht beim Kölbl in Hörmannsdorf und weiterer Tittlinger Bürger vor größerem Schaden bewahrt werden. Der Expositus sinniert: „Der Brand, eine Strafe Gottes?“

1865
Feierliche Einweihung der neuen Kanzel und der beiden Seitenaltäre, neu aufgestellt wurden die Statuen „Immaculata“ (Hl. Maria) und „St. Joseph“

1866
Fortsetzung der Renovierungsarbeiten: Hochalter wurde neu gefasst und die beiden Rahmen vergoldet; die Engel oberhalb des Altarblatts erhielten Girlanden in die Hände; neuer Anstrich für die Beichtstühle und die vorderen Betstühle; Renovierung der Orgel; gotisches Maßwerk für die Seitenaltäre und acht Leuchten in mittelalterlicher Form; gelber Innenanstrich, im Presbyterium blaßgrün, die Säulen in Steinton, hier neue Kapitäle aufgesetzt und neues Granitpflaster in der Sakristei; weiße Vorhänge als Lichtschutz beim Hochaltar

1869
Acht Bürgerhäuser brannten ab, die Kirche blieb verschont.
Die Gründung des sog. Lesevereins, der Anfang langjähriger Auseinandersetzungen zwischen Geistlichkeit und liberalen Marktbürgern

1874
Weitere Reparaturen: Himmelblaues Gewölbe im Presbyterium mit Sternen und nachgemachten gotischen Fensterzonen; Farbanstrich in der ganzen Kirche; Einbleien aller Kirchenfenster; kostenlose Maurerarbeiten durch Maurermeister Joseph Stadler; Fazit des Expositus: „Die Kirche war wunderschön anzusehen und sie gefiel allen Leuten recht sehr, so daß keinen das Geld reuete.“

1877
Fertigstellung des Mädchenschulhauses in der Herrenstraße

1878
Erhebung der Expositur Tittling zur selbständigen Pfarrei
Nach mehreren erfolglosen Versuchen der Vergrößerung des Kirchleins wurde in der Folge unter Pfarrer Stinglhammer (1869 – 1882) beschlossen, eine ganz neue Kirche zu erbauen. (Näheres dazu siehe im sehr empfehlenswerten Buch „100 Jahre Pfarrkirche St. Vitus“)

1889
Baubeginn für die jetzige Pfarrkirche St. Vitus unter Pfarrer Max Muggenthaler (in Tittling von 1882 bis 1899)

1892
Die neue Kirche wurde nach der Benediktion ab 15.11. benutzt, das alte Kirchlein wurde geschlossen.

1893
Einweihung der neuen Pfarrkirche am 21.09.; Exekration des alten Kirchleins am 30.08.

1894
Abriss des alten Kirchleins am Marktplatz
Max Peinkofer erinnerte 60 Jahre später im Artikel „Mit dem Dachreiter fiel auch der Hausinger Ferdl vom First“ in der Passauer Neuen Presse unter dem Kürzel „kf“ an dieses denkwürdige Ereignis.

Herbert Zauhar 2015