Echte Brauchtumspflege ist wichtig und allgemein anerkannt.


Das war aber nicht zu allen Zeiten so. Manchmal nahmen missgünstige Zeitgenossen Anstoß daran und wandten sich an die Obrigkeit. Auch Zeiten der allgemeinen Not der Bevölkerung haben hier eine Rolle gespielt.

In der NS-Diktatur entschied die Ideologie auch über die Ausübung des Brauchtums.

Die in den nachfolgenden Texten zitierten Schriftstücke befinden sich in Kopie im Gemeindearchiv Tittling.

Das Wasservögelsingen


Karl Mayrhofer beschreibt in seinem 1927 veröffentlichten Buch über Sitte und Brauch der Altbay­ern das Wasservögelsingen im unteren Bayerischen Wald. Mayrhofer war zu dieser Zeit Lehrer in Enzersdorf, Gemeinde Witzmannsberg.

Laut Mayerhofer ziehen am Abend des Pfingstsonntags auch in unserer Gemeinde gruppenweise junge Menschen in geeigneter Kleidung von Haus zu Haus. Ihre ins Ohr gehenden, in Melodie und Text überlieferten Sprechgesänge sind weit zu hören. Der sog. Eierkater muss vor dem Erhalt der Eiergaben oder an­derer Geschenke manchen Wasserguss der Hausbewohner über sich ergehen lassen.

Just aus dem Erscheinungsjahr des Buchs sind amtliche Aktenvermerke vorhanden, die einen An­griff auf dieses alte Brauchtum dokumentieren.

Auf eine entsprechende Aufforderung des Bezirksamts Passau hin berichtete die Gendarmerie-Sta­tion Tittling am 27. Mai 1927 nach Passau:

Auch im hiesigen Dienstbezirk werde die Unsitte des sogenannten Wasservögelsingens am Pfingst­tag nachts betrieben.

Im vorigen Jahr war nachträglich darüber geklagt worden. Dies sei wohl eine Folge der sittlichen Verrohung der Jugend. Es hat sich aber niemand richtig darüber beschwert.

Trotzdem müsse dieses Treiben als Unfug bezeichnet werden. Es wäre gut, wenn über die Presse, das Ausrufen in den Gemeinden und durch Nachtdienstgänge der Gendarmerie im ganzen Bezirk dieser nächtlichen Ruhestörung begegnet werden würde.

Vor etwa 20 Jahren sei diese Unsitte im Bezirksamt Wolfstein auf diese Weise erfolgreich bekämpft worden und hat dann nahezu ganz aufgehört.

Neben dem Bezirksamt wurde auch die Gendarmeriestation Aicha v. W. mit dem Vermerk „zur wei­teren Erledigung“ informiert.

Bereits einen Tag später berichtete die Gendarmerie-Station Aicha v. W. an das Bezirksamt Passau.

Das Wasservögelsingen sei ein alter Brauch im unteren Bayerischen Wald. Dieser werde nur ausgeübt, weil Eier an die Sänger verabreicht würden und weil die Jugend Freude daran habe, die Sänger ausgiebig mit Wasser zu begießen.

Für die Landwirte und älteren Leute sei dieser Brauch aber eine Belästigung, da sie selbst benötigte Eier herschenken müssten. Wenn sie aber nichts hergeben würden, wären sie Anpöbeleien ausge­setzt. Auch die Nachtruhe werde gestört.

Der Gesang selbst ist an Tönen und Worten als nicht schön zu bezeichnen“, schreibt der Aichaer Stationskommandant.

Offensichtlich waren die Bemühungen des Bezirksamts Passau zur Eindämmung des Wasservögel­singens im Jahr 1927 wenig erfolgreich.

Im Dritten Reich wurde im Mai 1935 dem Bezirksamt Passau vertraulich mitgeteilt, dass in den Ge­meinden Fürstenstein und Aicha vorm Wald immer noch das sog. Wasservögelsingen betrieben wer­de. Die Gewährung von Eiern werde von den jungen Burschen häufig in frecher und herausfordern­der Weise gefordert. Das habe sich in den letzten Jahren zu einer außerordentlichen Belästigung der Bevölkerung gesteigert. Bekämen die Sänger nichts, würden sie frech und ergingen sich in Drohun­gen.

Der Informant erachtete das Pfingstsingen als Bettelei, die zu verbieten und strengstens zu bekämp­fen sei. Es müsse dafür gesorgt werden, dass diese Belästigung der Bevölkerung unterbleibt.

Das Bezirksamt Passau teilte diese Ansicht und sprach mit Schreiben vom 27. Mai 1935 an die Gemeinde Fürstenstein ein Verbot des Wasservögelsingens aus. Bei Zuwiderhandlung sollte unnachsichtig Strafanzeige erstattet werden. Die Gemeinde Fürstenstein wurde aufgefordert, das Verbot des Wasservögelsingens in geeigneter Weise öffentlich bekannt zu machen.

Am 31. Mai 1935 meldete die Gemeinde Fürstenstein, dass auf das Verbot des Pfingstsingens (Wasservögelsingen) durch mehrfachen öffentlichen Anschlag hingewiesen worden ist.

Wie einem Artikel in der Donauzeitung vom 26. Mai 1896 zu entnehmen ist, gab es auch schon früher Zeitgenossen, denen dieser Brauch nicht gefallen hat. So veröffentlichte die Zeitung die Zuschrift eines Lesers, der kein gutes Haar an diesem Brauch ließ.

Im letzten Jahr habe ein junger Bursche sein Augenlicht verloren, weil er mit Kalk beworfen wurde. Das Wasservogelsingen sei ein „Pfingstgeschrei, von einem Singen kann keine Rede sein“. Der hohe Festtag werde dadurch entheiligt.

Dies war aber wohl mehr die Meinung eines Einzelnen.


Seit vielen Jahrzehnten kann dieser alte Brauch wieder gepflegt werden, auch im Dreiburgenland. Besonders erfreulich ist, dass die beteiligten Gruppen dies in der von Generation zu Generation überlieferten Form tun. Sie leisten dadurch echte Traditionspflege.

Das Neujahranblasen


In seinem 1927 veröffentlichten Buch „Ahnenerbe“ schreibt der damalige Enzersdorfer Lehrer Karl Mayrhofer von Sitte und Brauch in Altbayern. Darin berichtet er wohlwollend vom Neujahranbla­sen böhmischer Musikanten, die durch Einöden und Dörfer ziehen und mit lustigen Landlern, Mär­schen und waldlerischen Volksweisen die Menschen auf das neue Jahr einstimmen. Als Dank ließ der Hofbauer Silbergeld in die Basstuba prasseln.

Dieser schöne Brauch hatte auch Neider, wie zwei Vorgänge aus dem Jahr 1903 und 1921 zeigen.

Am 20. Dezember 1903 teilte ein anonymer Schreiber dem „hochwohlgeborenen Bezirksamtmann“ mit, „wie es in Tittling immer zugeht“. Die Musiker gingen vier Tage vor dem neuen Jahr durch vier Pfarreien, Haus für Haus zum Neujahranblasen und verdienen sich 500 Mark. Die Gendarmeriestation Tittling sei mit den Musikern nachsichtig. Wenn sich aber ein Bettelmann oder -weib einige Pfennige erbet­telt, werde das mit großem Eifer verfolgt. Das Bezirksamt solle in der Sache für Gerechtigkeit sor­gen.

Der um eine Stellungnahme gebetene Tittlinger Stationskommandant Friedrich Kreuzer teilte am 31. Januar 1904 dem Bezirksamt Passau mit, dass die Neumeier‘sche Musikkapelle schon seit vielen Jahren das Neujahranblasen durchgeführt habe und dies auch heuer tun werde. Es wurde immer die ortspolizeiliche Bewilligung eingeholt, sodass alles im Einklang mit den Gesetzen sei. Gegen den Vorwurf, seitens der Gendarmerie beste­he eine freundschaftliche Nachsicht mit den Musikern, werde ausdrücklich zurückgewiesen.

Das Bezirksamt schloss den Vorgang am 5. Februar 1904 mit dem Vermerk ab, dass es sich hier um ei­nen alten Brauch handle und es sich lediglich um eine anonyme Anzeige handle.

Im Jahr 1921 kam es wegen des Neujahranblasens erneut zu Problemen.

Am 20. Dezember 1921 sprach als Vertreter der Musikkapelle Tittling Eduard Dangl bei der Gemeinde vor und bat um Genehmigung, zu Neujahr in verschiedenen Ortschaften aufspielen zu dürfen. Bürger­meister Gsödl leitete den Antrag an das Bezirksamt Passau weiter.

Bereits zwei Tage später wendet sich mit dem Betreff „gewerbliches Musizieren“ das Bezirksamt Passau an die Gemeinde und Gendarmerie Tittling.

Erinnert wird an die im Dezember 1883 von der Gemeindeverwaltung erlassene Vorschrift, „wo­nach das Herumgehen zu Neujahr zum Zwecke der Erlangung herkömmlicher Geschenke in Wirts- oder Privathäusern oder auf öffentlichen Straßen und Plätzen verboten ist“. Dies gelte auch für das Herumziehen von Musikanten. Auch aufgrund überörtlicher Vorschriften möge die Gemeinde eine Erlaubnis versagen.

Über den konkreten Ausgang der Angelegenheit fehlen die Quellen.

Gott sei Dank wird in unserer Zeit der schöne Brauch des Neujahranblasens durch Mitglieder der Jugendblaskapelle Dreiburgenland wieder gepflegt.

Sternsinger im Dritten Reich


Den Sternsingern hat Karl Mayrhofer in seinem 1927 veröffentlichten Buch über Sitte und Brauch der Altbayern ein ganzes Kapitel gewidmet.

Auch in Tittling wurde dieser schöne Brauch gepflegt. So findet sich am 7. Januar 1936 in der Donauzeitung die Meldung, dass auch in diesem Jahr wieder sehr schöne Gruppen von Haus zu Haus gezogen sind. Dort erfreuten sie die Hausbewohner mit alten Hirtenliedern.

Den NS-Machthabern aber war die Ausübung kirchlicher Bräuche ein Dorn im Auge.

So sah sich die Hitler-Jugend, Bann 316 (Passau, südl. Bayr. „Ostmark“), die Nachwuchsorganisati­on der NSDAP, im Dezember 1937 veranlasst, gegen die „Tätigkeit von Sän­gergruppen in der Weihnachtszeit“ vorzugehen.

In einem Schreiben vom 11. Dezember 1937 an das Bezirksamt Passau wird mitgeteilt, dass in unserer Gegend Kinder in Verkleidungen, z. B. als „die 3 Könige aus dem Morgenlande“ singend umherziehen und dann Spenden sammeln.

Nach Meinung der Gebietsführung der HJ werde hier kein bedeutsames Brauchtum gepflegt, es handle sich vielmehr um verdeckte Bettelei. Das Ganze sei schon im Interesse der staatlichen Sammlungen des Winterhilfswerks zu unterbinden.

Die HJ-Leitung gehe auch davon aus, dass hier nicht von einem religiösen Brauch die Rede sein kann. Das sehe man schon am Aufzug dieser „3 Könige aus dem Morgenland“.

Der Bannführer habe deshalb den Befehl an alle Einheitsführer der HJ des ganzen Banngebiets ge­geben, dass sich kein HJ-Angehöriger bei einer solchen Sängergruppe beteiligen darf.

Der Bannführer bat die zuständigen Bezirksämter um Unterstützung und Anweisung an die Gendar­merie, die HJ in diesem Sinne zu unterstützen.

Insbesondere sollten HJ-ler, die als Beteiligte bei solchen Sängergruppen festgestellt werden, an den Bann 316 der Hitler-Jugend gemeldet werden.

Das Bezirksamt sandte am 18. Dezember 1937 einen Abdruck des Schreibens an alle Gendarmerie-Stationen im Amtsbezirk zur Kenntnisnahme und mit dem Vermerk:

Auswüchse in der Tätigkeit von derartigen Sängergruppen sind abzustellen. Soweit HJ-Angehörige als Beteiligte an solchen Sängergruppen festgestellt werden, ist unter Angabe der Personalien anher zu berichten, damit der HJ-Bann verständigt werden kann.“

Das Bezirksamt hielt auch lt. Vormerkung vom 18. Dezember 1937 fernmündlich Rücksprache mit dem Kreisleiter, Oberbürgermeister Moosbauer aus Passau. Er war mit dem Bezirksamt einig, dass Auswüchsen zu begegnen sei. Im übrigen sei aber auf dem Lande ein anderer Maßstab anzulegen als in der Stadt. Dem Ersuchen der HJ-Leitung um Mitteilung von Beteiligung von HJ-Angehörigen sei zu entsprechen.

Über den konkreten Ausgang der Angelegenheit fehlen die Quellen.

Seit dem Ende des 2. Weltkriegs ziehen jedenfalls wieder Sternsinger vor dem Fest der Heiligen Drei Könige am 6. Januar von Haus zu Haus. Es sind dies Ministranten der Pfarrei, in den letzten Jahrzehnten immer mehr Ministrantinnen.

Herbert Zauhar, Oktober 2017